Thermische, chemische und
biochemische Desintegrationsverfahren
Mitgearbeitet
haben:
Dr.-Ing.
Johannes Müller, Braunschweig (Sprecher)
Dr.
rer. nat. Andreas Tiehm, Karlsruhe (stellv. Sprecher)
Dr.-Ing.
Karl Böcker, Wuppertal
Dipl.-Ing.
Bernhard Eder, München
Dr.-Ing.
Julia Kopp, Lengede
Prof.
Dr. rer. pol. Peter M. Kunz, Mannheim
Prof. Dr.-Ing. Uwe Neis, Hamburg
Dr.-Ing.
Jürgen Oles, Gladbeck
Dr.-Ing. Rolf Otte-Witte, Elze
Dr.-Ing.
Karl-Georg Schmelz, Essen
Dipl.-Ing. Kainan Seiler,
Darmstadt
Vorbemerkung
Nachdem sich die Arbeitsgruppe in den ersten beiden Berichten [1,2] mit den mechanischen Verfahren der Klärschlammdesintegration befasst hat, werden in diesem Bericht die Verfahren der thermischen, chemischen und biochemischen Desintegration dargestellt. In einem nachfolgenden Bericht werden schließlich alle Methoden hinsichtlich betrieblicher und wirtschaftlicher Aspekte verglichen.
Historisch gesehen wurden thermische und chemische
Behandlungsverfahren zunächst zur Konditionierung von Schlamm mit dem Ziel der
Verbesserung der Entwässerung eingesetzt. In diesem Bericht steht der Aspekt
der Zellwand-zerstörenden Wirkung im Vordergrund, also die Desintegration und
die damit verbundenen Auswirkungen auf verschiedene Schritte der
Schlammbehandlung.
Kernstück sowohl bei der thermischen als auch der
chemischen und biochemischen Desintegration sind die Hydrolyse und/oder
Oxidation, weshalb diese vorab erläutert werden.
Unter Hydrolyse
ist die (Ab-)Spaltung langkettiger, organischer Moleküle in monomere Bausteine
durch Anlagerung von Wasser zu verstehen. Die Hydrolyse erfolgt:
physikalisch durch Druck und
Temperaturerhöhung,
chemisch durch Säuren oder Laugen
biochemisch katalysiert durch Enzyme,
anaerob oder aerob,
durch Kombinationen davon
Als Hydrolysemittel kommen im Schlammbereich in
Betracht:
Wasser und anorganische
Säuren bzw. Basen,
Alkohole oder organische
Säuren
Wasser und Enzyme
Bei der Oxidation
gibt ein Atom oder Molekül Elektronen ab. Das Oxidationsmittel nimmt dabei
die abgegebenen Elektronen auf und wird
damit selbst reduziert. Das bekannteste Oxidationsmittel ist Sauerstoff (O2).
Beispiele für stärkere Mittel sind Ozon (O3) und Wasserstoff-Peroxid
(H2O2).
Um die erreichte Desintegration quantifizieren zu können, kann der Aufschlussgrad bestimmt werden. Zur Bestimmung des Aufschlussgrades ACSB aus der Messung der Freisetzung an CSB wird der Wert für einen 100%igen Aufschluss aus einer Behandlung des Schlammes mit Natronlauge ermittelt [1]. Der ACSB ergibt sich dann aus dem Quotienten CSBProbe/CSBNatronlauge , wobei im Zähler wie im Nenner noch der CSB der unbehandelten Probe subtrahiert wird. Häufiger zu finden ist auch eine Angabe zum CSB-Freisetzungsgrad als dem Quotienten aus CSBgelöst/CSBgesamt. Die so gemessenen Werte sind deutlich kleiner als der ACSB, da der CSBgesamt größer ist als der CSBNatronlauge. In einigen Arbeiten wurde die Abnahme des Gehaltes an organischer Trockensubstanz in der Schlammfeststoffmasse zur Messung des Desintegrationserfolges bestimmt.
Die thermische Schlammbehandlung kann unterschieden
werden in die thermische Konditionierung, die thermische Desintegration und die Gefrierbehandlung. Während die
thermische Konditionierung und die Gefrierbehandlung vornehmlich eine
Verbesserung des Wasserabgabevermögens des Schlammes zum Ziele haben, wird mit
der thermischen Desintegration vor allem eine Verbesserung nachfolgender
Abbauprozesse angestrebt.
Bei der thermischen Konditionierung wird durch die
Wahl von Reaktionstemperatur und Behandlungsdauer eine weitgehende Überführung
organischer, auch extrazellulärer Bestandteile in den Überstand angestrebt. Der
übrig bleibende Schlamm weist einen deutlich geringeren Gehalt organischer,
wasserbindender Substanzen auf und erreicht höhere Entwässerungsgrade.
Bei der thermischen Desintegration laufen
prinzipiell die gleichen Vorgänge wie bei der thermischen Konditionierung ab,
allerdings liegen die Reaktionstemperaturen niedriger. Dadurch werden die
organischen Schlammbestandteile in etwas geringerem Umfang hydrolysiert und die
Bildung schwerabbaubarer Verbindungen wird reduziert (siehe Kap. 3).
Bei einer Gefrierbehandlung werden durch die
Eiskristallbildung Flocken- und Zellstrukturen zerstört. Bei geeigneten
Klimabedingungen kann das Gefrieren benutzt werden, um durch die Zerstörung
wasserbindender organischer Strukturen das Entwässerungsverhalten des Schlammes
zu verbessern. Die mit der Gefrierbehandlung verbundene Freisetzung von
Zellinhaltsstoffen hat für den Bereich der Klärschlammbehandlung derzeit keine
praktische Bedeutung.
Bei der chemischen Desintegration sind die
Mechanismen der chemischen Oxidation und der chemischen Hydrolyse zu
unterscheiden.
Bei Umgebungstemperatur und Normaldruck werden bei Verwendung von Sauerstoff als Oxidationsmittel organische Bestandteile im Klärschlamm nur relativ langsam oxidiert bzw. gar nicht angegriffen. Daher müssen zur Erzielung einer ausreichend schnellen und starken Oxidation entweder die Temperaturen erhöht oder stärkere Oxidationsmittel zugegeben werden.
Der Einsatz der chemischen Oxidation als Desintegrationsverfahren beruht in erster Linie auf dem Aufbrechen von Zellhüllen durch Radikale (OH·; HO2·). Das Oxidationsmittel wird durch eine radikalbildende Substanz oder durch Anregung (bspw. UV-Strahlung) in Radikale umgewandelt. Werden starke Oxidationsmitteln (Ozon, H2O2) verwendet, kommt es bei niedrigem pH-Wert auch ohne Aktivierung zur Radikalbildung.
Verfahrenstechnisch sind die bei erhöhten Temperaturen bzw. Drücken arbeitende thermische chemische Nassoxidation (mit Sauerstoff als Oxidationsmittel) und die (nass)chemische Oxidation unter Einsatz von stärkeren Oxidationsmitteln unter Normaldruck und Umgebungstemperatur (aktivierte Nassoxidation) zu unterscheiden.
Schon durch Zugabe von verhältnismäßig geringen Mengen an starken Säuren bzw. Basen (z. B. HCl, H2SO4, NaOH) zu einer Klärschlammsuspension beschleunigt sich die Hydrolysegeschwindigkeit proportional zur H+- bzw. OH--Konzentration in der Lösung. Die chemische Hydrolyse bewirkt eine Spaltung von Zuckern, Stärken, Proteinen usw. in monomere Bausteine. Die Zellwandstruktur von Mikroorganismen wird dabei aufgelöst. Die chemische Behandlung kann bei erhöhter Temperatur durchgeführt werden, um die Reaktionsgeschwindigkeit zu steigern.
Bei der alkalischen Hydrolyse wird durch die Zugabe von Lauge (Kali- oder Natronlauge) auch eine Verseifung der Zellwandfette erreicht. Dadurch werden bei diesem Verfahren mehr organische Substanzen in Lösung gebracht als bei der sauren Hydrolyse.
Durch die Aktivität von Enzymen erfolgt eine biologische Hydrolyse von Schlamminhaltsstoffen. Enzyme sind Proteine, die bereits in kleinen Mengen als Biokatalysatoren die Reaktionsgeschwindigkeit unter normalen Umgebungsbedingungen deutlich beschleunigen. Die Desintegration durch mikrobiologisch im System produzierte Enzyme (Autolyse) wird beispielsweise bei der Primärschlammhydrolyse genutzt. In jüngerer Zeit werden auch extern produzierte Enzyme z.B. in der Schlammfaulung mit dem Ziel zugesetzt, den biologischen Abbau und die Schlammentwässerung zu optimieren.